Cynefin-Rahmen

Cynefin (cu-NE-vin) ist ein walisisches Wort, das im Englischen wörtlich mit "Versteck" oder "Lebensraum" übersetzt werden kann, aber eigentlich viel mehr bedeutet als eines dieser einfachen englischen Wörter. Der Cynefin-Rahmen wurde von Dave Snowden von Cognitive Edge als Instrument zur Unterstützung der Entscheidungsfindung in komplexen sozialen Umgebungen entwickelt.

Einer der Gründe, warum Snowden diesen ungewöhnlichen Namen für sein Rahmenwerk wählte, war ganz einfach: "Ein Name, der eine Geschichte benötigt, um seine Bedeutung zu erklären, vermeidet Verwechslungen oder Assoziationen mit bestehenden Konzepten."

Das Rahmenwerk beginnt mit drei Arten von Systemen: geordnete, komplexe und chaotische. Das geordnete System ist in zwei Bereiche unterteilt, die als einfach und kompliziert bezeichnet werden, sodass insgesamt vier Bereiche entstehen. Der Sinn des Rahmenwerkes ist es, Ihnen zu helfen zu verstehen, mit welchem der vier Bereiche Sie es zu tun haben. Daher gibt es einen fünften Bereich mit der Bezeichnung "Unordnung", der einfach die Tatsache darstellt, dass Sie nicht wissen, welcher der anderen vier Bereiche auf Ihre Situation zutrifft.

Das Cynefin-Rahmenwerk ist für Projekte, Programme und Portfolios von Bedeutung, da der P3M-Ansatz auf den Kontext des Arbeitsauftrags zugeschnitten sein muss. Faktoren wie Komplexität und Ungewissheit müssen verstanden werden, bevor entschieden wird, ob der Auftrag als Projekt oder Programm verarbeitet werden sollte, oder ob gar iterative Ansätze (wie Agile) relevant sind oder nicht.

 

 

Ausgangslage

Dies ist der Ausgangspunkt, wenn Sie nicht wissen, welcher der vier Bereiche für Sie relevant ist. Die folgenden vier Beschreibungen sollten Sie studieren, um den Auftrag, den Sie in Angriff nehmen wollen, zu positionieren. Dies hilft z. B. beim Anforderungsmanagement im Identifizierungsprozess des Praxis-Prozessmodells, zu entscheiden, ob der Auftrag als Projekt oder besser als Programm durchgeführt werden sollte.

Dabei ist Vorsicht geboten, da die Menschen dazu neigen, die Situation nach ihrer bevorzugten Arbeitsweise zu beurteilen.

 

Einfach

Im einfachen Bereich gibt es Beziehungen zwischen Ursache und Wirkung, die vorhersehbar und wiederholbar (systematisch) sind. Diese sind für jeden Menschen offensichtlich. In der P3M-Umgebung kann man davon ausgehen, dass "jede vernünftige Person" jemand ist, der ein technisches Verständnis für den Auftrag hat.

Im Baugewerbe kann ein einfaches Projekt beispielsweise den Bau eines Hauses umfassen, vor allem wenn das Projektteam schon viele solcher Häuser gebaut hat. Jedes Mal, wenn ein Haus gebaut wird, wird es Unterschiede geben, aber die Beziehungen zwischen Ursache und Wirkung sind hinlänglich bekannt. Ähnlich kann eine neue Website in einer IT-Umgebung einem bewährten Format mit gut etablierten Vorlagen folgen, aber dennoch jedes Mal einen anderen Inhalt haben.

In diesem Bereich besteht der Ansatz darin zu erkennen, was die Unterschiede für dieses Projekt sind, diese richtig einzuordnen und auf diese Unterschiede zu reagieren. Snowden behauptet, dass dies der einzige Bereich ist, in dem das Konzept der "gängigen Praxis" (Best-practice) relevant ist.

Menschen, die viel Zeit in diesem Bereich verbringen, werden wahrscheinlich jedes Scheitern eines Projekts als "Prozessversagen" betrachten.

 

Kompliziert

Im komplizierten Bereich gibt es zwar immer noch eine Ursache-Wirkungs-Beziehung, aber diese ist nicht mehr eindeutig und erfordert Fachwissen, um sie zu analysieren. Ein Beispiel ist der Bau einer Brücke. Auch wenn das Team schon viele Brücken gebaut hat, so ist doch jede Brücke über einen Fluss oder eine Strasse anders, da sie unterschiedlichen Verkehrs- und Wetterbedingungen als auch geologischen Bedingungen ausgesetzt ist, denen sie standhalten muss. Spezialisierte Bauingenieure analysieren den spezifischen Kontext und erstellen Entwürfe.

Hier gilt der Ansatz "Erkennen - Analysieren - Reagieren", und die Verwaltung des Projekts würde eher als "gute Praxis" (Good-practice) denn als "gängige Praxis" (Best-practice) betrachtet werden.

Personen, die viel Zeit in diesem Bereich verbringen, werden wahrscheinlich jedes Scheitern eines Projekts auf unzureichende Informationen zurückführen, auf die sich Analysen gestützt haben.

 

Komplex

Der Auftrag in diesem Bereich hat Ursachen und Auswirkungen, die nicht vorhersehbar und nur im Nachhinein offensichtlich sind. Veränderungsprogramme für Unternehmen fallen in diese Kategorie, ebenso wie viele IT-Projekte/-Programme. Das liegt vor allem daran, dass es viele Beziehungen zwischen den Interessengruppen gibt, deren Meinungen und Anforderungen sich erst im Laufe der Zeit herausbilden.

Der Ansatz ist hier "probe-sense-respond" (ausprobieren – fühlen - antworten), d.h. Sie müssen experimentieren und testen, um den genauen Umfang des Auftrags zu verstehen.

Die P3M-Gemeinschaft antwortet auf diesen Bereich typischerweise mit iterativer Entwicklung und eng integrierten multidisziplinären Teams. 'Concurrent Engineering' und 'Agile' sind zwei Beispiele dafür. Je größer die Komplexität, desto mehr Agilität ist vom Managementteam gefordert, um auf die Ergebnisse der Erprobung und des Experimentierens zu reagieren.

 

Chaotisch

Snowden erklärt, dass in chaotischen Systemen keine Ursache-Wirkungs-Beziehungen festgestellt werden können. Dies scheint ein wenig extrem zu sein, da selbst chaotische Systeme wie das Wetter bis zu einem gewissen Grad vorhergesagt werden können, auch wenn es eine beträchtliche Datenerfassung und enorme Rechenleistung erfordert, um eine Vorhersage für nur ein paar Tage zu treffen - im P3M-Umfeld trifft die Aussage also vielleicht im Großen und Ganzen zu.

Der chaotische Bereich sollte nur aus Gründen der Innovation bewusst betreten werden, und dies erfordert natürlich eine erhebliche Risikobereitschaft. Chaotische Projekte würden nur dann bewusst konzipiert, wenn es viel zu gewinnen gibt, etwa indem man in einem neuen, sich schnell verändernden Bereich als Erster auf den Markt kommen möchte oder als Reaktion auf eine Krise wie der Kernschmelze eines Atomreaktors, um weiteren Schaden abzuwenden.

Der Ansatz ist hier, zu handeln, zu verstehen und zu reagieren.

Es gibt noch eine andere Möglichkeit, wie ein Projekt chaotisch werden kann. Die Grenzen zwischen den Bereichen können im Allgemeinen verschoben werden, z. B. von kompliziert zu einfach oder von kompliziert zu komplex, sobald eine Analyse durchgeführt wurde.

 

 

Aber eine Grenze ist anders. Die Grenze zwischen einfach und chaotisch wird oft als Klippe (cliff) dargestellt. Wenn die Diagnose in der Ausgangslage falsch ist und der Auftrag als einfach eingestuft wurde, obwohl dieser es nicht ist, oder wenn der Auftrag komplizierter wird und das Managementteam nicht reagiert, dann könnte das Projekt in die "selbstgefällige Zone" (complacent zone) geraten. Die Steuerung des Projekts erweist sich als völlig unzureichend und es rutscht über die Klippe ins Chaos.

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